21.09.2022

Alles wird gut – solange du deine Stärken kennst und sie einsetzt

Eine Buchrezension für die Kommision positiver Arbeitsplatz der SWIPPA der Schweizerischen Gesellschaft für Positive Psychologie (Swiss Positive Psychology Association)

„Positive Psychotherapie: Ein Therapiemanual“ (Tayyab Rashid und Martin Seligman). Erschienen 2021 im Hogrefe Verlag/Göttingen, in der deutschen Übersetzung von Irmela Erckenbrecht.

Wenn der „Vater der Positiven Psychologie“, Martin Seligman, gemeinsam mit einem erfahrenen klinischen Psychologen das neuartige therapeutische Konzept der Positiven Psychotherapie (PPT) beschreibt, dann dürfen die Erwartungen hoch sein. Das Therapiemanual ist ausführlich und lehrreich und hält viele Anregungen bereit, die außerhalb des therapeutischen Settings, etwa in Coaching oder Organisationsberatung, einsetzbar sind.

Grundlagen

Die PPT ist eine ressourcenorientierte Methode, die auf den Prinzipien der Positiven Psychologie aufbaut. In fünf Kapiteln werden zunächst die theoretischen Grundlagen der Positiven Psychotherapie beschrieben. Diese nehmen primär Bezug auf das zentrale Konzept der Charakterstärken von Christopher Peterson und Martin Seligman sowie auf die Theorie des Wohlbefindens (PERMA) von Seligman. Die PPT ist der klinische und therapeutische Arm der Positiven Psychologie und besteht aus konkreten Übungen, den sogenannten Positiven Psychologischen Interventionen (PPIs), die, obwohl noch im Aufbau befindlich, bereits vielfach evidenzbasiert sind.

Hebel zur Heilung
Der von Rashid und Seligmann formulierte Anspruch der PPT ist es, den Fokus in der Therapie auf die positiven Aspekte im Leben der KlientInnen zu richten. Ohne Symptome und defizitäre Aspekte außer Acht zu lassen, werden die individuellen Stärken als „Hebel zur Heilung“ eingesetzt und ein ganzheitliches Profil der Persönlichkeit des Menschen erstellt.

So verfolgt die PPT das Kultivieren positiver Emotionen, das Stärken positiver Beziehungen sowie das Erkennen und gezielte Fördern von Charakterstärken und Lebenssinn. Das Ziel der PPT ist es, Wachstum, Resilienz und Wohlbefinden zu aktivieren, indem die KlientInnen im Erkennen sowie im Einsetzen persönlich bedeutsamer Fähigkeiten unterstützt werden. Darüber erweitert die PPT den Spielraum und die Wirkung von Psychotherapie und versteht ihr Konzept als Ergänzung traditioneller psychotherapeutischer Maßnahmen.

Weiterhin aufschlussreich sind auch die Ausführungen zu einem neuen Ansatz der Klassifikation psychischer Störungen. In Anlehnung an den AOE-Ansatz von Peterson können psychische Störungen über ein Nichtvorhandensein (Absence) oder das Gegenteil (Opposite) von Stärken oder aber ein Übermaß (Excess) an Stärken betrachtet und entsprechend neu konzeptioniert werden. Erläutert wird dies anhand häufiger psychischer Störungen wie Depressionen, Ängste und verschiedene Persönlichkeitsstörungen und deren beobachtbare Symptome basierend auf dem DSM-5 und mit den dahinterstehenden Stärken wie Hoffnung, Lebendigkeit und Selbstregulation und deren Dysregulation nebeneinandergestellt.

Anwendungsorientierung
Als Manual enthält es, neben den zuvor genannten theoretischen Ausführungen, im zweiten, anwendungsorientierten Teil eine umfangreiche Sammlung von Beschreibungen zum Ablauf therapeutischer Einzel- und Gruppensitzungen sowie Leitfäden zur praktischen Anwendung nebst Arbeitsblättern für TherapeutInnen und KlientInnen gleichermaßen. Der Anspruch beider Autoren ist es, für die Anwendung der PPT die notwendigen Fertigkeiten zu vermitteln. Weiterhin zeigen sie mögliche Modifikationen auf, um die Passung von KlientIn und Intervention zu optimieren und die Methoden in verschiedenen klinischen Settings anwenden zu können.

Auch wenn das Konzept der Positiven Psychotherapie in erster Linie für die therapeutische Anwendung in klinischen Settings entwickelt wurde, sind die im Buch enthaltenen Informationen, Anleitungen und Hilfestellungen zur praxisorientierten Anwendung ebenso in der systemischen Beratung von Mensch und Organisation hilfreich. Denn wie in der Therapie, geht es auch bei diesem Anwendungsfeld nach den Prinzipien der Positiven Psychologie um das Erkennen und Einsetzen individueller Stärken, das Stärken positiver Emotionen und das Festigen positiver Beziehungen sowie um den Anspruch, Ressourcen zu aktivieren und das Wohlbefinden zu stärken.
Die Anwendbarkeit der Publikation wird durch online abrufbare Arbeitsblätter und weitere Materialien unterstützt (Zugriffscode im Buch).

Humane Diagnostik
Es ist sehr vielversprechend, eine wertschätzende, humane Diagnostik und Behandlungsmethode wie die beschriebene Positive Psychotherapie als Ergänzung zu den am schulmedizinischen Modell orientierten Klassifikationssystemen und Therapien zu etablieren. Nicht allein darum, weil nur 65% der Klientinnen und Klienten aus tradierten Therapien einen Nutzen ziehen, sondern ebenso da psychische Erkrankungen mehr und mehr zunehmen und die Positive Psychotherapie/Psychologie mit dem Stärkentraining auch probate Mittel zur Prävention bereithält. Interessant ist ebenso, dass das Konzept kulturübergreifend wie auch als begleitende Massnahme bei körperlichen Gesundheitsproblemen wirksam ist.

Schlussbetrachtung
Der vertiefte Einblick in dieses Konzept hat in vollem Umfang meine Neugier erfüllt, ich habe neue Techniken erlernt und mir weiteres Wissen angeeignet. Das Manual ist zu einem hilfreichen Begleiter im privaten wie beruflichen Alltag geworden und ich empfehle es mit Freude allen weiter, die mit Menschen zusammenarbeiten und deren Entwicklung und Aufblühen als wichtig erachten.